Schon viel ist über Robert Brandy und seine Kunst geschrieben und gesprochen worden, umso mehr freut es mich, und ist es eine Ehre für mich, dass ich heute zu seinen Werken etwas sagen darf.
Beginnen möchte ich mich einem Zitat von Theo Kneubühler: Er beschreibt: "Das Rindenstück":
"Worte sind mückenflügeldünn, wenn sie draußen schwarz auf weiß enden. Wo sie beginnen, drückt das Gewicht, eine Last aus Umbra.
Das kleine Rindenstück ist fast so dünn wie Papier. Da es sich wellt, eine winzige Woge auf dem Waldteich, wirkt es als Körper.
Lehmsattes Wasser, auf dessen Oberfläche sich das Grün der Buchen und Eschen bricht: Umbra, ahnende Haut - der lastende Ton auf dem leichten Rindenstück."
(Theo Kneubühler, Wegsehen, Aufsätze, Briefe, Texte, Merve Verlag Berlin 1986)
"Overcovering": Eine von Robert Brandy selbst erfundene Bezeichnung.
"Overcovering" hat etwas mit Archäologie zu tun, mit unserer herkömmlichen Vorstellung des Ausgrabens alter Gegenstände, alter Dinge, die wieder ans Tageslicht befördert werden.
Das verwendete Material - seien es Briefe, Zeitungsausschnitte, Lieferscheine, Abholscheine für Filmrollen oder Architekturgrundrisse - dieses Material war einstmals - 1926 oder vor 156 Jahren - an existierende Personen, Institutionen oder an das Tagesgeschehen gebunden, und damit in der Realität verankert. Im Gemälde ist dieses Material einerseits Repräsentant für diese andere Zeit, für einen Moment in der Geschichte, der aufblitzt, ein Zeitfragment, das als Spur oder Riss sichtbar wird, andererseits gewinnt es in den Bildern eine neue Präsenz im Hier und Jetzt.
Robert Brandy zeigt die Komplexität und die Kunst des Erinnerns und die Kunst Erinnerungen zu erfinden.
Er zeigt auch die Differenz zwischen Realität und Repräsentation, zwischen Präsenz und Absenz. Seine Collagen sind Speicher unterschiedlicher Zeiten und Zeitstrukturen sowie deren komplexen Bezugnahmen aufeinander.
Robert Brandy arbeitet gegen die Verschüttung, indem er zurückgreift auf Altes, das seinen ursprünglichen Kontext verloren hat. Er nimmt es und setzt es ins Heute.
Diese Momentaufnahmen, diese singulären ja auch banalen schriftlichen oder bildlichen Zeugnisse von Ereignissen aus der Vergangenheit werden abgelegt in seinen "Bildspeichern".
Der Künstler gibt diesen alten Dingen einen neuen Schauplatz in der Malerei.
Sie bilden den Untergrund oder Hintergrund, auf dem sich etwas Neues ereignet. Sie werden überschrieben, übermalt, überzeichnet oder in den Worten Robert Brandys "overcovered".
Mit dieser Strategie, macht der Künstler es möglich, im Rückblick die Gegenwart aufzuwerten, das Jetzt, den Augenblick in seiner Einzigartigkeit, Zufälligkeit und Brüchigkeit aufscheinen zu lassen.
Auch rasterartige Texturen bilden neben den Spuren fremder Menschen ein weiteres Fundament seiner Collagen. Auch sie bleiben Hieroglyphe, Geheimnis, Rätsel, sind Reste von Ablagerungen vergangener Zeit, umwölkt von einer anderen Zeit.
Diese Fundstücke, Zeugnisse vergangener Ereignisse sind die Grundlage seiner klaren horizontalen Bildaufteilung, seiner ruhig organisierten geometrische Bildordnung. Sie geben Stabilität.
Auch die erdigen Töne, die er verwendet, vermitteln Festigkeit. Seine Bildräume setzen sich Stück für Stück aus diesen einzelnen Bildsegmenten zu einem harmonischen Ganzen zusammen. Da sind Teile abgebrochener Horizontallinien, Parallelen, die durch erdige Farben zu einem Flächenmuster zusammengefügt werden.
Auffällig ist, dass seine Kompositionen immer auf das Wesentliche reduziert sind.
Diese schöne, ruhige Ordnung wird jedoch aufgebrochen durch dynamische Elemente. Sie durchkreuzen die horizontale Gliederung, brechen frech die Ordnung des Bildraumes in die Vertikale hin auf.
"Mückenflügeldünn" weben Robert Brandys weiße Übermalungen neue Strukturen. Leicht und durchsichtig lassen sie das Dahinterliegende erahnen. Und da sind noch andere fragile und zerbrechliche Elemente, Körperchen, Umrisse von Pflanzen, wolkige kleine Gebilde, die frei schwebend ihren Schatten werfen, rote oder orangefarbene Flecken, die spielerisch auftauchen, fast wie lebendig ausgelassen herumzutollen scheinen. Sie treiben ihr Spiel mit der Vergangenheit, mit der vorgegebenen Ordnung.
Das Übermalte bildet eine Art Schutzraum für das bunte Treiben des Neuen, das Alte gibt Halt und Sicherheit, bildet einen Rahmen und gibt dem Neuen damit auch die Freiheit zur Entfaltung, zum Ausbruch, zum Setzen der Differenz.
Der Differenz zwischen dem Jetzt und dem Augenblick danach - zwischen der Realität und ihrer Reflexion - zwischen Wahrnehmung und Gedächtnis - zwischen Leben und Tod - zwischen dem Zeichen und seiner Bedeutung.
Die Zeit, eilt, steht still, rückt vorwärts, hinterlässt ihre Spuren, sie kommt, sie vergeht, sie wartet, sie rast vorbei, sie gräbt sich ein, sie verfliegt.
Was bleibt? Unsere Vergänglichkeit als Antrieb, als Motor unseres Daseins, unserer Bewegungen, Handlungen und Erinnerungen.
Was bleibt? "Overcovering": Die Zeit entspringt Robert Brandy.